100 Jahre TV 06 Bad Niederbreisig e.V.

Vom Männerturnverein zum Verein für die ganze Familie

Als Friedrich Ludwig Jahn 1811 in der Hasenheide bei Berlin den ersten Turnplatz eröffnete, konnte niemand ahnen, wie schnell sich diese Bewegung ausbreiten würde. Als das Jahrhundert zu Ende ging, gab es im Bereich unseres heutigen Turnverbandes Mittelrhein schon fast 150 Vereine.

1906 erreichte die Bewegung auch unseren Heimatort Niederbreisig. Der Anstoß zur Vereinsgründung kam vom damaligen Leiter des Waisenhauses Ferdinand Schössler. Am 24. Mai 1906 gründeten 20 junge Männer den Verein und wählten Ferdinand Schössler zum 1. Vorsitzenden.

Als "Zweck des Vereins" beschreibt die erste Satzung:

1. Der Verein bezweckt den Betrieb und Förderung der deutschen Turnkunst, körperliche und geistige Kräftigung.

2. Zur Erreichung dieses Zweckes dienen außer dem praktischen Turnen auch Turnfeste, Turnfahrten und gesellige Zusammenkünfte.

3. Die Politik ist von dem Bestreben des Vereins ausgeschlossen, vaterländische Gesinnung soll jedoch gehegt und gepflegt werden.

Hier wird erkennbar, daß man von einem Turner auch das Bekenntnis zum Vaterland und eine bestimmte Haltung erwartete. Die Turnvereine waren also keine reinen "Sportvereine". Wer Mitglied werden wollte, mußte sich schriftlich beim Vorsitzenden bewerben. Der Antrag mußte von einem Mitglied unterschrieben sein. Die Aufnahme geschah durch geheime Abstimmung. Kinder bis zum 14. Lebensjahr und Frauen konnten nicht Vereinsmitglieder werden.

So war es vor 100 Jahren, für uns ist das nicht nachvollziehbar.

1907 schloß sich unser Verein der "Deutschen Turnerschaft" an.

Erster Höhepunkt in der Vereinsgeschichte war das Bezirksturnfest mit Weihe der Vereinsfahne im Jahre 1911. Der 1. Weltkrieg (1914-18) unterbrach die erfolgreiche Aufbauphase. Viele Turner kehrten nicht mehr heim, und so wurde erst 1920 der Turnbetrieb wieder aufgenommen.

Einige Turner aus der Gründerzeit waren dem Verein verblieben. Sie schafften es, neue Turner zu gewinnen und erfolgreiche Arbeit zu leisten. So richtete man 1925 auf dem Sportplatz (heute Tennisplätze) das Bezirksturnfest mit 260 Wettkämpfern aus. Ein Chronist berichtet darüber: "Der hiesige Turnverein (Vors. Daum, Peter) veranstaltete anläßlich des Bezirksturnfestes (30.8.25) am Vorabend im Gasthof zur alten Post einen Volksabend unter Mitwirkung der Liedertafel und des Mandolinenklubs "Wanderlust". Auf dem Sportplatz wurden Wettkämpfe, Freiübungen, Geräteturnen und Vereinsriegen abgehalten. Hiernach auf dem Kirchplatze Preisverteilung. Der hiesige Verein hatte sehr gute Leistungen zu verzeichnen."

1928 wurde zu Ehren der gefallenen Turnbrüder auf dem "Haan" die Jahneiche gepflanzt und 1931 ein Gedenkstein errichtet.

Die eingemauerte Urkunde hat folgenden Wortlaut:

Im Jahre des Heils 1931, 25 Jahre nach seiner Gründung, 1 Jahr nach der Befreiung des Rheinlandes von der fremden Besatzung, zur Zeit der Deutschen Republik unter dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, unter der Verwaltung des Bürgermeisters KarI Hoffmann und des Gemeindevorstehers Peter Ernst Schwickerath und unter der Pfarrverwaltung des Pfarrers August Heyer errichtete der Turnverein Niederbreisig seinen im Weltkrieg 1914-1918 gefallenen Mitgliedern dieses Ehrenmal als Zeichen tiefen Dankes und dauernder Liebe.

Den Platz stellte die Gemeindevertretung zur Verfügung. Der Entwurf stammt von Ewald Ernenputsch. Die Arbeiten wurden von den Turnern und Schülern des Vereins unter Leitung des Bildhauers Jakob Laux ausgeführt.

Niederbreisig, den 7. Mai 1931

Der Vorstand des Turnvereins

Jean Zentner Vorsitzender

Josef Schlösser sen., Roderich Loevenich, Theo Loevenich, Franz Zentner, Christian Reiferscheid, Peter Schmidgen, Fritz Blumenthal, Bernhard Veesei; Otto Weber, Karl Schmoll, Karl Loevenich, Peter Daum, Walter Loevenich, Hermann Frisch, Johannes Kaiser. Josef Kaiser

Ebenfalls 1928 wurde die Frauen-Turn- und Gymnastikgruppe gegründet und 1929 unter Leitung von Maria Engels eine Mädchen-Turnriege ins Leben gerufen.

1931 feierte man das 25jährige Vereinsbestehen im kleinen Rahmen. Im gleichen Jahr entstand erstmals eine Volkstanzgruppe.

Ab 1933 wurde in Deutschland vieles anders. Das bekamen auch die Vereine zu spüren. So wurde unser Verein am 11. Mai 1933 in den NS-Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) eingegliedert.

Hitler selbst verfügte: "Dem Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibsübungen obliegt die Leibeserziehung des Deutschen Volkes, soweit diese nicht durch den Staat oder durch die Partei, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände durchgeführt wird."

In unserem Ort verlagerte sich der Turnbetrieb und die sportliche Betätigung der Jugend zunehmend in den Bereich der Hitlerjugend. Der Turnverein bestand nur noch auf dem Papier. So blieb es bis zum Ende des 2. Weltkrieges.

 1945 befahlen die Siegermächte die Auflösung aller sportlichen Organisationen. Den Befehlshabern der Besatzungszonen oblag die Überwachung der Neugründungen.

In der französischen Besatzungszone wurden zunächst nur Altsportvereine zugelassen. So schlossen sich 1946 Turnverein und Sportverein zum "Spiel- und Sportverein" Bad Niederbreisig zusammen.

In den ersten Nachkriegsjahren entfaltete die neu ins Leben gerufene Wassersportabteilung unter der Leitung der Wassersportwarte Hugo Zimmermann, Theo Jäger sen. und Josef Schwarz besondere Aktivitäten. Neben hervorragenden Leistungen bei verschiedenen Regatten wurden Theo Jäger jun. und Fritz Brangenberg 1951 Rheinlandmeister im Zweier-Kajak. Die Wassersportler trennten sich 1967 vom Turnverein und gründeten den Wassersportverein.

Erst im Herbst 1949 erlaubte die französische Militärregierung die Gründung reiner Turnvereine. Am 20. November 1949 erfolgte nach Auflösung des Spiel- und Sportvereins die Neugründung unseres Vereins.

Nun konnte sich das turnerische Leben wieder frei und voll entfalten.

Die Geräteturner August Kraus, Adolf Fuchs, Heinz Kraus, Fritz Littauer und Ernst Jerabeck bauten eine erfolgreiche Turnriege auf. Adolf Fuchs und Heinz Kraus siegten bei Turnfesten und Meisterschaften und wurden in die Gauriege berufen.

Ebenso erfreulich verlief die Entwicklung der Fechtabteilung unter Leitung des Dipl. Fechtmeisters Wilhelm Reifferscheid. Nach mehrmaliger Erringung der Gau- und Landesmeisterschaft nahmen die Fechter Fritz Blumenthal, Josef Krämer, Josef Schlösser und Peter Schmidgen 1951 und 1953 an den deutschen Meisterschaften teil. Die Erfolge unserer Fechter lösten bei der Bevölkerung großes Interesse für diesen ritterlichen Sport aus, und so waren die vielen Städtevergleichskämpfe immer gut besuchte Veranstaltungen.

1961 fanden die deutschen Fecht-Meisterschaffen der Junioren in der Jahnhalle statt. Ein Beweis für das hohe Ansehen, das unsere Fechter im Land und Bund genossen.

1971 wurden die Fechter Dieter Krebber, Peter Fausten, Klaus Wenigmann und Jörg Schmitz Landesmeister der Junioren im Mannschaftskampf. Insgesamt elf Fechter unseres Vereins erkämpften die Zulassung zu den deutschen Meisterschaften.

1974 endete die Geschichte der Fechtabteilung. Gerd Schlösser, langjähriger Fechtwart des Turnvereins und Landesvizemeister im Säbel- und Degenfechten verließ den Verein und gründete eine Fechtabteilung am Rhein-Gymnasium in Sinzig.

Ein Glanzpunkt in der Geschichte des Turnvereins war das 50jährige Stiftungsfest, das im Rahmen des Gauturnfestes am 16.-17. Juni 1956 gefeiert wurde. Es war ein Zeugnis für die intensive Aufbauarbeit in den schwierigen Nachkriegsjahren.

1960 ging ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung. Durch die Initiative unseres damaligen Vorsitzenden Franz Fabritius wurde die Jahnhalle gebaut und am 27. Juni eingeweiht. Endlich hatten die Turner eine Heimstatt.

1961 fanden in der neuen Halle die Kunstturnmeisterschaften des Landesturnverbandes Mittelrhein statt, ebenso die Verbands-Meisterschaften der Tischtennis-Jugend.

1962 tagte der 8. Mittelrheinische Turntag in der Jahnhalle und die Tischtennis-Rheinland-Meisterschaften wurden hier durchgeführt. Diese Veranstaltungen festigten den guten Ruf unseres Vereins im ganzen Land.

Die innerhalb des Turnvereins gegründete Tennisabteilung machte sich am 16. Dezember 1961 selbständig, daraus entstand der Tennis-Club Bad Niederbreisig.

Die Tischtennisabteilung, am 10. Mai 1960 ins Leben gerufen, wanderte nach erfolgreichen Jahren 1967 zum Sportverein "Germania Oberbreisig" ab.

Eine Belebung des Geräteturnens gelang Jürgen König. Aus der von ihm betreuten Riege sind die Turner Rolf Reuter, Udo Reuter, Werner Arenz, Ralf Hausmann, Tamer Sen. Marc König und FaIk König besonders zu erwähnen. Sie vertraten unseren Verein in den Jahren 1970-1 990 auf Gau-, Landes- und Bundesebene und erreichten mehrfach vordere Plätze.

Ab 1991 gibt es im Verein keine Geräteturner mehr Diese Entwicklung teilen wir mit vielen Vereinen. Das klassische Geräteturnen, besser bekannt als Kunstturnen, wird von den meisten Jugendlichen nicht mehr gefragt. Vielleicht liegt es daran, daß vor dem Erfolg ein hartes, jahrelanges Training steht.

Neue Schwerpunkte gaben dem Verein in den letzten 25 Jahren ein neues Gesicht. Die bereits 1958 wieder ins Leben gerufene Frauen-Gymnastikgruppe erfuhr eine Erweiterung durch die 1981 gegründete Seniorengruppe unter Leitung von Marianne Heinrich, später Hubi Heer, heute Maria Winterhagen.

1982 entstand, gemeinsam mit der SG Bad Breisig, eine Volleyballgruppe, die ab dem Jahr 2000 am offiziellen Spielbetrieb des Volleyballverbandes Rheinland teilnimmt.

2006 wurde die Vizemeisterschaft in der Seniorenliga B errungen.

Die Volleyballgruppe der Damen, 1976 als Mädchengruppe gegründet und in den Folgejahren recht erfolgreich, wanderte 1982 geschlossen zum VC Sinzig ab.

Sehr erweitert wurde auch das Angebot für unsere Jüngsten und die jungen Familien. Seit Jahren gibt es neben den verschiedenen Altersgruppen im Kinderturnen die Gruppe "Vater-Mutter-Kind-Turnen".

Moderne Tanzformen gehören zum Übungsbetrieb der von Dagmar Martini-Castor 1993 gegründeten Aerobic-Gruppe und der daraus entstandenen Tanzgruppe "The Moving Dancers".

Größter Erfolg dieser Abteilung war der 1. Platz bei "Happy Gymnastik" in Koblenz. Weitere Auftritte bei den verschiedensten Veranstaltungen machten diese Gruppe über unseren Ort hinaus bekannt. Eine Erweiterung des Tanzangebots war 2003 die Gründung der Jugendtanzgruppe "Video-Clip-Dance" durch Lera Weber.

Diese Tanzgruppen pflegen in modernen Formen eine alte Tradition, die 1931 mit einer Volkstanzgruppe begann und 1959 noch einmal belebt wurde. Der Verein nahm damals mit 26 Mitgliedern der Volkstanzabteilung am Internationalen Trachtenfest teil.

Ein weiteres erfolgreiches Kapitel in der Vereinsgeschichte begann 1989. Damals gründete Rosi Kull die Gruppe für Wirbelsäulengymnastik, Rückenschule und Entspannung. Die hohe Oualifizierung und ständige Fortbildung der Übungsleiterin brachte den Erfolg.

1995 wurde unser Verein als einer der ersten im Deutschen Turnerbund mit Urkunde "Pluspunkt Gesundheit" ausgezeichnet. In den folgenden Jahren wurde diese Qualifikation immer wieder erneuert, und mit Maria Winterhagen steht eine weitere Übungsleiterin mit Pluspunkt zur Verfügung.

Der Verein bietet also allen Mitgliedern, die etwas für ihr Wohlbefinden tun wollen, ein breites Betätigungsfeld. Wir dienen ihrer Gesundheit!

Unsere Turngemeinschaft steht nun an der Schwelle zum zweiten Jahrhundert ihrer Geschichte. Wir gedenken voll Dankbarkeit allen Mitglieder, die durch ihren selbstlosen Einsatz unserem Verein gedient haben. Besonderen Dank zollen wir denjenigen, die nach den zwei schrecklichen Weltkriegen und trostlosen Nachkriegsjahren den Mut nicht verloren hatten und sich mit allem Kraft um das Weiterleben des Vereins gemüht haben.

Mögen sich auch in Zukunft Frauen und Männer finden, die mit Idealismus unserer Gemeinschaft dienen. Sie mögen erkennen, daß im Mittelpunkt allen Mühens der Mensch stehen muß. In diesem Sinne beginnen wir das zweite Jahrhundert unserer Geschichte.

Walter Daum, Sep. 2006